Kindheitstrauma
Heute muss ich zum Zahnarzt. Wurzelbehandlung. Das gehört so zu den Alptraumbesuchen bei Ärzten.
Ich habe meinen Chef heute noch gefragt, ob er mir eventuell nicht erlaubt zu gehen, doch auch da war nichts zu machen. Er war da tiefentspannt und es hilft ja nichts. Irgendwann muss ich da sowieso durch.
Also, noch schnell Rescuetropfen reingeschüttet. Ich glaube ich nehme gleich die ganze Flasche so schnell schlägt mein Puls. Ich schwinge mich auf meine Vespa und brause los.
Während der Fahrt sehe ich immer wieder in den Himmel und bete mein Mantra „Kathrin, Du schaffst das. Kathrin, Du schaffst das! Setze Dich mit deinem Trauma, deiner Panik aus deiner Kindheit auseinander und nimm das Gefühl des Ausgeliefertseins an.“
Ich hatte immer schon Probleme mit den Zähnen. Zähne stehen für Entscheidungen. Und bei mir bröckelte es immer irgendwo.
Als ich ca. 9 Jahre alt war, musste ich mal wieder zum Zahnarzt. Früher gab es das noch nicht von wegen Angstpatient und liebevolle Vorgehensweise. Nix, da. Alleine von dem Geruch von Chloroform wurde mir schon übel, wenn ich in die Zahnarztpraxis kam.
Dann rauf auf den Stuhl und zitter, zitter …. Hoffentlich findet er nichts. Doch, da hatte Klein Kathrin falsch gehofft. Es war immer was und es war schrecklich. Dann kam die große Spritze – dieses Ding war wie ein Hammer – ein übergroßes Teil. Doch die kleine Kathrin hatte Kraft sich zu wehren. Ich mache einfach den Mund nicht auf. Lippen fest aufeinander pressen. Nein, das mache ich nicht, war meine feste Überzeugung. Die mussten mich mit 5 Mann festhalten und der Arzt hat irgendwie versucht meinen Mund aufzubekommen!! Ich weiß es noch genau. Dann habe ich um mich geschlagen und letztendlich geschrien. Meine Mama stand daneben und kam immer wieder mit ihrer Eisnummer. „Wenn du jetzt schön lieb bist, kaufe ich dir nachher ein Eis“. Klasse! Damit ich noch mehr Karies bekomme oder wie?! Heute weiß ich, sie hat es so gemacht wie sie es am Besten konnte und wusste.
Ich habe innerlich so gelitten. Wie ein Stück Vieh wurde ich da behandelt. So kam mir das vor. Früher konnte ich das ja noch nicht so ausdrücken. Und bei jedem neuen Besuch dieselbe schlechte Erfahrung. Tja, und das habe ich immer schön in meinen Lebensrucksack gepackt, schleppe das Gepäck auch mit und das krame ich auch immer wieder hervor – bei jedem neuen Zahnarztbesuch. Ich merke mittlerweile ganz bewusst wie ich meine Fingernägel in meine Hautoberfläche drücke, dass sie fast blutet. Es ist wie ein Automatismus, dem ich verfalle. Stuhl, „Lätzchen um“, Finger in die Haut gedrückt, der Körper komplett angespannt.
Und heute wieder, doch mit einem Unterschied, dass mir in der neuen Praxis wo ich jetzt bin, solche kleinen Bälle gegeben wurde, die ich kneten kann. Und während sie ganz „liebevoll“ in meinem Mund basteln, fange ich ganz bewusst an, während ich an die Decke schaue, mir immer wieder innerlich zu sagen, wie gut sie das beherrschen und wie klasse ich das mitmache. Dass ich positiv bin, dass es gut für mich ist. Immer und immer wieder wiederhole ich das und dann löse ich ganz bewusst meine Finger von meiner Haut und lege sie an die Bälle und beginne diese zu bearbeiten, fange an mit ihnen zu spielen. Es ist alles gut, du bist in Sicherheit, Kathrin. Sie kümmern sich um das, um was ich mich in den frühen Jahren meiner Kindheit nicht gekümmert habe. Meine Zähne. Schlecht oder zu wenig geputzt, zufiele Süssigkeiten und viel zu spät gesagt, wenn ich Schmerzen hatte. Ausgehalten, nur weil ich da nicht hin wollte. Und heute machen sie Schadensbegrenzung in meinem Mund. Ich fasse mir an meine eigene Nase und möchte, dass es meinen Zähnen gut geht. Sie tun so viel für mich und daher sitze ich hier.
Ich möchte Biss haben und Entscheidungen treffen, hinter denen ich stehe und mich mutig traue mit meiner ganzen Persönlichkeit Verantwortung zu tragen für meinen wertvollen Körper. Ja, ich muss sagen, das fühlt sich sehr gut an.
Langsam entspanne ich mich auf diesem Stuhl. Was man mit Gedanken alles anstellen kann. Positives Denken und bewusst Hinfühlen was passiert.
Verrückt ist, dass heute bei dem Besuch der Zahnarzthelferin ständig was runterfiel, selbst mein Provisorium, welches sie mir aus meinem Mund raushämmern mussten, weil es so bombenfest saß. Auch das fiel runter. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum fällt alles runter.
Und während ich hier schreibe, fällt es mir ein. Just in dem Moment …
Kathrin, lass dich einfach fallen, entspanne dich. Alles ist gut und du bist in Sicherheit. Es kann dir nichts passieren. Es passiert alles für dich und deine Gesundheit. Oh, das ist ein gutes Gefühl!
Und bevor ich mich jetzt entspannt und völlig losgelöst ins Bett fallen lassen und mich über die Erkenntnis des Tages freue, schicke ich euch noch den Spruch des Tages
„Fallenlassen ist wie Loslassen … Erst fürchtest du dich davor und dann wünscht du dir, du hättest es schon viel früher getan. Doch für alles gibt es immer den richtigen Zeitpunkt!“
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