Tagebuch einer Geliebten – Leseprobe gefällig?
… Ich sitze im Auto und suche einen Parkplatz. A. hat soeben angerufen. Wir wollen heute Abend noch telefonieren – so wie jeden Abend. Derzeit arbeite ich von Stuttgart aus, da meine kleine Tochter Neele ein Schulpraktikum hier vor Ort macht. A. und ich haben uns seit einer Woche nicht gesehen. Er ist krank. Bandscheiben OP.
Ich suche eine passende Lücke, parke und laufe ins Hotel in heller Vorfreude auf das Telefonat mit dem Mann, den ich vor 5 Monaten in einer Bar in Frankfurt kennengelernt habe. Es war ein absoluter „Wow-Moment“, als ich diesem großen schlanken Mann mit den blonden Haaren und diesen wundervollen blauen Augen begegnet bin. Und – er trug keinen Ehering! Herrlich! An dem besagten Abend hieß es zudem von seinem Freund: „Die Scheidung läuft bereits.“ Das ist ja ein Traum, dachte ich sofort, passt gut
in mein Lebenskonzept. Was für ein Zufall – und natürlich ist A. mir einfach zugefallen. Er wurde mir vom Leben geschickt, jawohl! Genau wie ich ihm.
Ich komme in meinem Zimmer an, meine Tochter liegt schon auf dem Bett und zockt an ihrem Handy. Jetzt ott unter die Dusche, Haare waschen und ab ins Bett. Kopfhörer in die Ohren. Ich wähle seine Nummer. Zweimal lasse ich es klingeln und lege wieder auf. So machen wir es immer. Er ruft mich dann zurück – alles andere ist „ent-mann-end“, wie er immer so schön sagt und ich mag es, wenn er mich anruft. So gentlemanlike!
Ich rede und tausche mich so gern mit diesem Mann aus, dem ich mein Herz geöffnet habe. Seine ruhige und dunkle Stimme macht mich immer wieder von neuem an und er holt mich einfach runter.
Ich spüre innerlich, dass wir beide sofort die absolute Aufmerksamkeit des anderen haben. Ich genieße das. Das Telefonat ist wie immer sehr bereichernd.
Wir tauschen uns über den Tag aus, berichten, erzählen was uns umtreibt. Ich fühle mich wohlig. Meine Tochter macht mittlerweile schon das Licht aus. Sie ist müde. „Mama, nicht mehr so laut“, bittet sie mich noch und schon ein paar Minuten später höre ich ihren ruhigen und gleichmäßigen Atem. Ich widme mich wieder A.s Stimme und höre gerade: „Ich habe noch eine schlechte Nachricht.“ in meinem Ohr.
Er macht eine kurze Pause und dann kommt der Satz: „Leila kommt mit den Kindern für die nächsten 14 Tage zurück …“ Er hat noch nicht die letzte Silbe ausgesprochen, da reagiert mein Bauch auch schon. Ich spüre es augen- blicklich in meinem Magen. Als ob jemand ganz kurz dagegen geboxt hätte. Ich nehme es wahr und weiß sofort – es ist die nackte Angst, die sich da wie auf Knopfdruck meldet. Ich versuche noch hinzuspüren, doch das Gefühl ist so schnell verschwunden, wie es kam.
A. spricht weiter: „Sie hat mich heute angerufen und mir das mitgeteilt. Und sie kommen bereits übermorgen!“ Meine Gedanken rasen wie Raketen durch meinen Kopf. Am Freitag schon?
Wir wollten uns am Wochenende sehen. Nach einer Woche Abstinenz erstmalig. Ich wollte mit ihm Sex haben, mit ihm lachen, einkaufen, kochen, spazieren gehen, ihn fühlen und Kontakt haben, mit ihm reden … Das alles wird es nun nicht geben und das für weitere zwei Wochen. Und wer weiß, was danach sein wird. Die Raketen hinterlassen glühende Funken. Ich verbrenne mich innerlich daran.
Wie auch immer ich es schaffe, in einem absolut ruhigen und gefassten
Ton sage ich: „A., alles hat seinen Sinn und soll genauso passieren. Es wird irgendwo hinführen. Das wissen wir nur noch nicht.“
Kathrin, du bist der Wahnsinn, denke ich über mich. Wie erwachsen das klingt. Ich bin irgendwie total stolz auf mich. Ich schreie nicht los, ich lege nicht auf, mache ihm nicht in irgendeiner Form die Hölle heiß oder trenne mich direkt von ihm. Nein, ich weiß, dass ich keinerlei Recht oder Besitz auf jemand anderen habe. Ich möchte keine Handelsbeziehung haben, frei nach dem Motto „Ich bin lieb und nett zu dir, dann bist du es bitte auch zu mir“. Ich möchte die ehrliche wahre Liebe und nicht die Ware Liebe.
Und so habe ich auch kein Recht auf A., den Mann, für den ich zur Zeit so unglaublich viel emp nde, dass mein Herz ganz warm wird, wenn ich ihn sehe und mit dem ich mir alles vorstellen kann, weil er so ist wie er ist und weil er mich so nimmt wie ich bin. Ich genieße den wertschätzenden Umgang, den wir miteinander haben. Er ist von gegenseitigem Respekt, Offenheit und Vertrauen geprägt. Und das war von Anfang an so.
A. lebt in unserem Zusammensein das, was er mit seiner Frau seit langem nicht mehr gelebt hat. Das spüre ich immer wieder.
Wir beide be nden uns seit fast 6 Monaten in einer Art Beziehung und verändern uns täglich anhand unserer Energien. Wir haben es bis jetzt geschafft, uns diesen sich immer wieder verändernden Energien zu öffnen und in uns hineinzuspüren.
A. war von Anfang an offen und ehrlich zu mir. Er hat auch von Beginn an gesagt, dass er eigentlich keine Beziehung bzw. Partnerschaft möchte. Er hat den festen Glauben, dass er Frauen in einer Beziehung oder Partnerschaft Unglück bringt. Daher will er es lieber gleich lassen, anstatt seine Sichtweise zu ändern. Doch das gehört ihm – nicht mir. Und ich lasse es ihm.
Er neckt mich immer wieder und nennt mich liebevoll „meine Geliebte“ mit der Begründung: „Als Geliebte wirst du wirklich geliebt, Kathrin. Du bist geliebt. Meine Ehefrau nicht …!“ Dies kommt wahrscheinlich aus der Summe seiner Erfahrungen.
Die laufende Scheidungsnummer stimmte gar nicht. Das stellte sich nach unserem ersten Date ganz schnell raus. Den Ehering hatte seine Frau ihm irgendwann vor Jahren in einem Wutanfall vor die Füße geworfen und
er hat ihr und sich geschworen, diesen nie wieder anzuziehen. Daran hat er sich gehalten. Tja, wenn er diesen an dem besagten Abend, als ich ihn kennengelernt habe, angehabt hätte, hätte ich mich ihm wohl nicht zuge- wandt. Männer mit Ehering sind ein rotes Tuch für mich.
„Kathrin, du hast recht“, holt mich A. aus meinem Gedanken. „Ich war so wütend auf sie. Sie hatte das noch nicht mal mit mir abgesprochen! Sie hat einfach die Flüge gebucht. Selbst meine Eltern wussten es vor mir!“ schleudert er die Worte in den Hörer. Ich schaue gedankenverloren auf meine Zehen, die am Bettende herauslugen und wackle damit auf und nieder. Plötzlich merke ich, dass sie ganz kalt sind. Wahrscheinlich bekomme ich im wahrsten Sinne des Wortes „kalte Füße“ von der ganzen Situation. Wie bist du da schon wieder hineingeraten, Kathrin?
Ich ziehe meine Füße unter die warme Bettdecke. Meine noch nassen Haare kleben an meinen Wangen. Neele liegt neben mir und zuckt im Traum. Wie selig Kinder sein können.
Die Frau hat wenigstens mal eine Entscheidung getroffen, denke ich so bei mir, sie bewegt sich und somit kommt Bewegung in die ganze Sache. Sehr gut!
„Ich war so sauer auf sie und habe das auch entsprechend zum Ausdruck gebracht. Einerseits freue ich mich ja, dass ich seit 10 Wochen das erste Mal meine Kinder wiedersehe. Und, Kathrin, ich mag nicht, dass es dir dabei jetzt so schlecht geht und du darunter leidest.“
Totenstille in der Leitung. Dann sage ich völlig klar mit mir: „A., ich entscheide selbst, ob ich mich gut oder schlecht dabei fühle. Es sind meine Gefühle, nicht deine. Und ich entscheide, ob ich das zulasse. Nicht du.
Ich verstehe, was du meinst, und genau das spielt sich auch alles gerade in meinem Kopf ab. Meine Gedanken könnten jetzt durchdrehen. Ich kann mir die schlimmsten Szenarien in meinem Kopf ausmalen. Ihr wohnt jetzt die nächsten 2 Wochen in eurer Wohnung zusammen, wie eine ganz normale Familie. Ihr schlaft in einem Bett! Vielleicht will sie mit dir schlafen oder es zumindest probieren! Den Kindern wird eine normale, heile Familie vorgespielt. Alles Gedanken, die ich mir in meinen Kopf p anzen kann,
wie Samen und wenn diese gedeihen und größer werden, indem ich dich in Gedanken sehe, wie sie dich vielleicht küsst, wird es wuchern in meinem Kopf wie Unkraut und ich ziehe mich selbst damit immer weiter runter, bis ich wimmernd am Boden liege!“ Mein Mund ist ganz trocken, mir bleibt im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg bei diesen Gedanken. Ich setze die Wasser asche an meinen Mund und trinke einen Schluck.
Von A. ist am anderen Ende der Leitung nichts zu hören. Doch dann spricht er unvermittelt weiter: „Du weißt doch wie ich zu dir stehe. Und ich bin ehrlich und sage dir direkt, dass meine Familie kommt.“ In diesem Moment will ich von ihm wissen, seit wann er genau weiß, dass seine Familie aus Tunesien anreist.
„Seit drei Stunden – ich wollte am Anfang unseres Telefonats nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und dir den Abend versauen“, spricht A. offen in mein Ohr. Ich fühle seine Ehrlichkeit. Das mag ich sehr an ihm, und doch wäscht er damit auch manchmal sein Gewissen rein. So nach dem Motto: „Ich war ehrlich und hab es dir gesagt. Mach was du willst damit – ich bin es los.“
Ich liege immer noch im Bett und schaue aus dem Fenster, als ich spüre,
wie ich drohe in die Opferhaltung zu rutschen. Mein Verstand will mich
in die Knie zwingen. Kathrin, wieso hast du kein Glück bei den Männern? Warum verlassen dich immer alle Menschen, die dir wirklich wichtig sind? Wieso ist das alles so unehrlich? Warum gerätst du immer wieder an Männer, die nicht frei sind? Kann es sein, dass ich selbst noch nicht frei bin? Wo bin ich gebunden? Warum habe ich seit Monaten schon wieder so Gelenkschmerzen?
Ich bin mir bewusst, dass mein Körper die Projektionsfläche der Seele ist. Doch was will mein Körper mir mit diesem Schmerz sagen? Dass er für mich eine Mitteilung hat, und dass an den schmerzenden Stellen Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Hass, Neid und Eifersucht wahrgenommen werden, und endlich angenommen werden wollen?
Schon lange beschäftige ich mich mit diesen Themen und je älter ich werde, desto klarer sehe ich die Dinge. Ich bin jetzt 45 – also in dem für mich besten Alter!
Den meisten Menschen wird in den Vierzigern und Fünfzigern einiges klarer. Sie werden bewusster, in dem was sie tun und was um sie herum passiert.
Ich hinterfrage mich eher, warum geschieht das jetzt, was will mir das sagen. Reflektiere. Bin dankbarer. Ich spüre mich deutlicher und bewußter, weiß, was ich will. Die meisten Menschen wissen häufig, was sie nicht wollen, doch was sie wollen, ist ihnen nicht klar. Je älter ich werde, desto weiser und erfahrener werde ich. Das ist meine eigene Erkenntnis. Ich fühle mich, als ob ich jahrelang durch den Nebel gefahren wäre und je länger ich fahre, desto sicherer werde ich darin und umso mehr klart dieser Nebel auf und es wird heller und die Umrisse schärfer, bis vollständige Bilder entstehen.
Ich setze mich auf, zupfe an der Bettdecke und sage ganz trocken: „Ich komme schon klar. Ich bin eine starke Frau. A., lass es uns positiv sehen
und die Sichtweise darauf ändern. Freue dich, dass du deine Kinder wieder siehst. Jahrelang mache ich das Spielchen ganz sicher nicht mit, doch du tust mir gut und ich denke, ich dir ebenso. Das fühle ich zumindest. Es wird auf jeden Fall etwas mit dir machen, diese Zeit, und ich bin froh, dass sie nach Deutschland kommen und du nicht zu ihnen iegst!“ Irgendwie beruhigt mich der Gedanke, dass er in meiner Nähe bleibt.
„Wir werden keinen Kontakt in dieser Zeit haben können, Kathrin und ich weiß wie wichtig dir das ist, die Kommunikation.“
Ja, da hat er recht, der Gute. Der komplette Kontaktabbruch wird die Hölle. Manche Dinge sind so wie sie sind und lassen sich dann auch nicht ändern. Doch ich kann mein Denken diesbezüglich ändern. Dann bin ich nicht mehr das Opfer sondern der Gestalter. Ich mag es, selbst zu gestalten. Diese Worte, aus meinem Mund? Ich bin fassungslos. Was ist los mit dir, Kathrin?
„Kathrin, du klingst so unglaublich vernünftig.“ Ich muss lachen. Es liegt nur ein bisschen Panik in meinem Lachen. Neele dreht sich in ihrem Bett zu mir hin. Ich fühle mich genau in dem Moment so stark verbunden mit ihr, obwohl sie schläft, doch sie ist da und das ganz ehrlich. Mir wird plötzlich bewusst, wie toll ich mich in den letzten Jahren entwickelt habe.
Heute ist der Tag, der irgendwann kommen musste. Ich wusste es, doch es kam so unvorbereitet. Damit hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich ist A. aus der Leitung verschwunden. Ich stapfe zur Toilette – habe richtig Druck auf der Leitung – wundern tut mich das nicht.
Kaum habe ich mir die Hände gewaschen, klingelt mein Handy erneut. Ich hüpfe ins Bett und nehme ab. Allein sein Bild auf meinem Display macht mir schon Freude. 14 Tage kein Kontakt – das wird die Hölle. Ich will nicht in die Hölle. Ich will in den Himmel auf Erden. „Hatte keinen Akku mehr“, meint er. Ja, ist klar. Ich hab auch gerade keinen mehr, denke ich, sage jedoch nichts.
Ich bin traurig. Langsam beginne ich es zu realisieren.
In Gedanken gehe ich bereits Pläne für die kommenden zwei Wochen durch. Sport, Freunde treffen, arbeiten, arbeiten, arbeiten … Sollte ich weg iegen? In die Sonne? Nein, Flucht bringt auch nichts. Und diese Form der Ablenkung ist sicherlich nicht das, was das Leben jetzt mit mir vorhat.
Der Mann mit der ruhigen und männlichen Stimme am anderen Ende holt mich aus meinen Gedanken zurück.
„Kathrin? Bist du noch da?“
„Ja“, antworte ich lahm, „mein Papa kommt im April aus Australien wieder und ich habe ihm angeboten, uns besuchen zu kommen, wenn er möchte. Er kennt unser Zuhause noch nicht. Er wäre 3 Tage hier in der Nähe und hätte Zeit“, sage ich. Meine eigenen Worte dringen wie durch einen Nebel in meinen Kopf.
„Na, dann soll er kommen und ich lerne ihn und seine Frau kennen.“
Wie bitte, habe ich gerade richtig gehört? Er will dabei sein und meinen Vater kennenlernen? Das ist im April – noch 3 Monate bis dahin. Ich weiß gar nicht, wie ich die nächsten zwei Wochen überstehen soll und ob mir dieser wunderbare Mann bis dahin nicht abhandenkommt. Doch er scheint da ganz klar zu sein.
Er hat sich in den letzten Monaten so wunderbar in meine Familie eingefügt. Nicht nur mit meinen beiden Mädels versteht er sich gut. Meine Familie
und Freunde – alle mögen und schätzen ihn. Auch mit meinem ehemaligen Mann, sowie seiner neuen Frau und seiner Familie versteht er sich prima. Doch ist er ehrlich sich selbst gegenüber und in dem, was er vom Leben will? Doch das ist seine Angelegenheit, nicht meine. Dennoch betrifft es mich. Auch das habe ich ihm immer wieder gesagt in unseren Gesprächen – ich bin keine Frau für die zweite Reihe! Doch momentan füge ich mich genau in diesen Platz ein. Ich lasse es selbst zu. Entscheide mich ganz bewusst.
Den Vorwurf kann ich ihm nicht machen. Da muss ich schon auf mich selbst schauen.
Ich kratze mich am Kopf. Die Haare sind immer noch nass. Vielleicht hätte ich sie doch föhnen sollen. „A.“, was für ein wunderbarer Name. Ich liebe es, ihn immer wieder leise vor mich hin zu sagen. Er passt so gut zu ihm. Seine klaren blauen Augen, die manchmal richtig traurig dreinschauen können.
Es zieht plötzlich ein Gefühl der Ruhe durch meinen Körper. Warum breche ich nicht in Tränen aus? Vielleicht kommt das später. „Kathrin, willst du mich abwürgen und das Gespräch beenden? Ich merke das. Du bist so still. Ich mag es lieber, wenn du lachst.“
„Nein, nein. Ist schon ok.“ Dennoch merke ich, dass ich tatsächlich keine Lust mehr habe zu telefonieren. Doch weiß ich, dass ich dieses Telefonat auskosten muss. Heute noch und dann noch mal morgen. Freitag um 12.20 Uhr, wenn die Familie landet, ist dann erst mal alles vorbei. Kontaktsperre für 14 lange Tage!!!
Vielleicht passiert ja etwas ganz Außergewöhnliches und alles kommt anders, als ich es mir in meinem Kopf gerade zurecht spinne. Sei positiv, ermutige ich mich innerlich.
„Wir tun uns noch gut, oder findest du nicht?“, höre ich A. wie aus der Ferne. „Naja, der Satz ist gut, doch ich verzichte auf das Wort ‚noch’.“
„Hast recht.“
„Das Leben meint es immer gut mit mir und mit dir auch – mit uns allen. Darauf versuche ich zu vertrauen in den nächsten Wochen.“ Dennoch merke ich die Tränen, die mir in die Augen steigen. Ich sehne mich so nach diesem Mann, dessen Frau in genau 48 Stunden mit den süßen beiden Kindern aus dem Flieger steigen wird.
„Ich hätte dich auch so gern noch mal gesehen“, sagt er leise. Und da kullern sie auch schon, die Tränen und laufen mir heiß die Wangen hinunter. Dieser Satz war definitiv zu viel für meine Selbstbeherrschung. Ich schaue auf die Uhr. Es ist mittlerweile Mitternacht. Neele schläft seit zwei Stunden tief und fest neben mir. „Wir machen jetzt mal Schluss, meine Süße. Es ist schon spät.“ „Ja, du hast recht“, erwidere ich müde. Ich spüre bleierne Schwere in mir. Wir wünschen uns gegenseitig eine gute Nacht und legen auf.
Ich drehe mich auf die Seite und starre in die Dunkelheit des fremden Zimmers. Ich will nach Hause. Fühle mich einsam und allein und warte wie ein Fuchs auf den Hasen im Bau, auf die Angst und die Gefühle, die da in mir schlummern. Ich möchte mich ihnen stellen, mich liebevoll befreien von ihnen. Ich warte. Höre meinen eigenen Atem. Spüre in mich hinein. Nichts passiert. Vielleicht braucht es noch ein wenig Zeit? Eventuell bin ich doch schon so gewachsen an mir. Ich falle in einen unruhigen Schlaf. Einmal werde ich noch mit ihm telefonieren, ein einziges Mal und dann – Funkstille. Ich wache immer wieder mit diesem Gedanken auf, wälze mich hin und her. Wie schaffe ich das? Was wird das mit mir machen? Soll ich mich vielleicht gleich trennen? – Hat ja eh alles keinen Sinn. „Annehmen“ ist das Wort der Nacht, welches immer wieder in meinem Kopf umherschwirrt. Es fühlt sich gut an, dieses Wort. So weich. So friedvoll und versöhnlich. Endlich falle ich in einen tiefen Schlaf, in dem immer wieder „die Geliebte“ eine Rolle spielt.
Ich wache auf und die Sonne scheint ins Zimmer. Neelchen schläft noch tief und fest. Mein Körper schmerzt. Vor allem meine Armgelenke. Was bedeutet das nur?
Ein neuer Tag. Wie war das gestern? Flieger, Familie, zwei Wochen … und schon bin ich wieder mittendrin in meiner Gedankenhölle. Ich will da nicht hinein. Das ist mir zu heiß dort. So, ab unter die Dusche, Kathrin. Abkühlen. Vielleicht passiert ja heute noch ein Wunder. Soll es ja geben.
Ich dusche und hübsche mich für eventuelle Wunder auf. „Neele, aufstehen! Ich gehe jetzt frühstücken. Kommst du mit?“ Ein verschlafenes „Ja“ erreicht mich, ein Krächzen aus dem Bett gegenüber, versteckt unter einem Wust von Decken. Relativ gut gelaunt und wirklich ganz passabel aussehend, spaziere ich zum Frühstück. Ich entscheide mich für das positive Denken. Hilft ja nichts. Die Situation ist jetzt so, wie sie ist. Schon verrückt – die Frau und ihre Kinder freuen sich jetzt total und man selbst sitzt da und will das alles nicht wahrhaben. So verschieden sind die Realitäten.
A. ist seit 13 Jahren mit Leila zusammen. Nach 8 Jahren Partnerschaft war er schon mal kurz davor, sich von ihr zu trennen. Die finanzielle Lage des Unternehmens ließ jedoch eine Trennung damals nicht zu – so zumindest erklärte er mir die einstige Lage. Kinder wollte er auch nicht haben, doch als er gesehen hat, wie liebevoll Leila mit Kindern umgeht, wurde es doch vorstellbar für ihn. 3 Jahre später kam das erste Kind und schwanger mit dem Zweiten, heiratete er sie in Las Vegas. Er wollte damit ein Statement setzen. Schließlich war die Frau an seiner Seite, nun auch die Mutter seiner Kinder. Jedoch ging Wertschätzung und gegenseitiger Respekt nach und nach verloren. Geprägt von lautstarken Streitereien, Wutausbrüchen, Stimmungsschwankungen, verbalen Verletzungen und Attacken, geriet die Beziehung immer mehr aus dem Ruder. Und es ist nun einmal so: Gesagte Worte lassen sich nicht mehr zurücknehmen. Es wurde zunehmend schwieriger.
Im Frühjahr letzten Jahres bewarb sich Leila dann im Ausland und bekam den Job. Sie ging – ohne ihre Kinder. A. kümmerte sich, neben der Leitung seiner eigenen Firma, liebevoll um die beiden Kleinen. Im Sommer holte seine Frau die Kinder zu sich nach Tunesien. Von da an war er allein.
Sein bester Freund Bernd schlug an einem Abend vor, zusammen essen zu gehen. A. geht normalerweise nicht gern aus, doch an diesem Abend entschied er sich anders und ging kurzerhand mit. Das war der Abend, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind. Alles hat seinen Sinn.
5 Monate zuvor …
Meine Freundin Kristina und ich sitzen in einer Bar. Zuhause hatten wir noch Schnick-Schnack-Schnuck gespielt, wer mit dem Auto nach Hause fährt. Ich habe gewonnen und freue mich auf einen feucht-fröhlichen Abend.
Ich stehe kurz vor meinem dreiwöchigen Urlaub in die USA und habe an diesem Abend eigentlich gar keine Lust wegzugehen. Ich beschließe mich nicht aufzubrezeln und steige mit Flip ops an den Füßen ins Auto meiner Freundin. Ein Blick auf mein Gegenüber im Auto lässt mich schmunzeln. Kristina scheint exakt den gleichen Gedanken gehabt zu haben. Auch sie ist sehr natürlich und ohne großen Zauber. So habe ich mich auch noch
nie in Frankfurt blicken lassen und es ist mir zum ersten Mal völlig einerlei. Wir fallen in die Willi James Bar ein und bestellen uns gleich zwei Cocktails. Angeregt unterhalten wir uns, ich erzähle freudestrahlend von meinem bevorstehenden Urlaub und wir schmieden Pläne, wie wir uns in Hamburg, meiner absoluten Traumstadt, selbstständig machen werden. Das geht mit Alkohol im Blut viel schneller und wesentlich kreativer. „Noch zwei, bitte“, rufe ich dem Kellner fröhlich zu, halte zwei Finger in die Höhe und werfe meine blonde Mähne lachend in den Nacken. Im Gedanken haben wir schon den Bankkredit für unsere eigene Veranstaltungsfirma unterschrieben und meine Freundin sieht sich bereits in ihrem Luxusauto durch Hamburg fahren. Wenn du eine verrückte Freundin hast, brauchst du für den Abend fast nichts anderes mehr.
Bevor „unsere Firma“ bankrottgeht, bestellen wir lieber noch zwei Cocktails und versprechen uns gegenseitig, dass das wirklich das Letzte ist, was wir wollen. Äh… dass das der letzte Cocktail ist, den wir auf unsere Pläne trinken werden.
Der Alkohol steigt uns langsam zu Kopf und genau da sollte man(n) bezie- hungsweise frau eigentlich gegensteuern, was uns jedoch nicht ganz leicht fällt, da bereits der vierte Cocktail wie aus dem Nichts plötzlich vor uns steht. Na gut, den Einen nehmen wir auch noch mit. Was soll’s.
Sehr beschwingt verlassen wir mit unserem heißen, achen Schuhwerk die Bar und laufen zur nächsten Location. Irgendwie habe ich schrecklichen Durst auf Wasser. Wir laufen beim Griechen in Frankfurt ein. Es ist relativ wenig los.
Wir drehen bei guter Musik eine Runde durch die Bar und checken mal die Lage. Ein Mann mit dunklen Haaren fällt mir auf. Mehr Aussicht lässt mein Blickfeld aufgrund des Alkoholpegels momentan nicht zu.
Ich bestelle zwei große Wasser aschen. Ich habe Durst. Großen Durst. Beschwingt und fröhlich lehne ich mich an den Bartresen, werfe meine Haare nach hinten, als ich plötzlich eine männliche Stimme sagen höre: „Entschuldigung, kannst du bitte deine Haare aus meinem Rotweinglas nehmen?“
Der Spruch ist gut, denke ich noch, wende mich allerdings der Kellnerin zu, da ich das Wasser noch bezahlen möchte.
„Wow!“, denke ich augenblicklich, als ich mich umdrehe, um den Witzbold in Augenschein zu nehmen. Doch mein Blick fällt nicht auf den Sprüche- klopfer, sondern auf einen gut aussehenden Mann mit blonden nach hinten gegelten Haaren, der an der Theke sitzt. Blaue Augen schauen mich unver- wandt an. Scheinbar verrät mein Blick einiges.
Das Zweite, was mein alkoholgeschwängertes Gehirn ausspuckt, ist: „Der ist bestimmt Bänker“, und als drittes schiebt es gleich hinterher: „Den bekommst du sowieso nicht.“
„Halt die Klappe!“, brülle ich der Stimme in meinem Kopf entgegen und spreche kurzerhand dieses wunderbare Exemplar von einem Mann an. Wir kommen gleich ins Gespräch und mir fällt sofort auf, wie sehr ich seinen Geruch mag. Ich bin ein Nasenmensch und das ist eines der Dinge, auf die ich unglaublich achte, nämlich, ob ich mein Gegenüber riechen kann. Bei dem Geruch von diesem Mann werde ich ganz hibbelig und stelle, mutig vom Alkohol, nach etwa 15 Minuten klar, dass ich sowas von auf Sex stehe und da auch ganz offen bin. Ist doch normal … meine Güte, dazu kann man doch stehen! Sex ist etwas Wunderbares!
Sofort habe ich seine hundertprozentige Aufmerksamkeit – das funktioniert scheinbar immer. Und dann beginne ich ihm zu erzählen, dass ich plane ein Buch zu schreiben. Wie ich es schaffe, den ungefähren Inhalt klar zu formulieren, ist mir bis heute ein Rätsel. Doch er ist sehr interessiert an diesem Thema. Komisch – er ist doch ein Mann, und die stehen bekanntlich nicht auf Lebensthemen.
Mir fällt auf, dass A. keinen Ehering trägt. Fantastisch! Was hat das Leben heute nur mit mir vor?
Seine beiden Freunde, inklusive dem Herrn mit der Rotwein-Haar-Proble- matik, sind sehr nett und bemerken direkt den Draht, den A. und ich zuein- ander haben. Sein bester Freund informiert mich gleich, dass alle in ihren Beziehungen um ihn herum unzufrieden und unglücklich sind und bei A. sogar bereits die Scheidung läuft.
Na, das wird ja immer besser! Bisher sind mir andauernd Männer begegnet, die noch gebunden waren. Und wie sehr wünsche ich mir einen Mann,
der frei ist, der gern Zeit mit mir verbringen möchte, für mich da ist und aufrichtig leben will. „Authentizität“ ist das Zauberwort!
Vor Monaten saß ich noch heulend im Auto und habe laut geschrien: „Liebes Universum, wo ist der richtige Mann für mich? Zeig dich endlich!!!“
Und dann das – wie verrückt ist das denn?
Wir wollen die Location wechseln. A. steht von seinem Barhocker auf und da ist es dann restlos um mich geschehen. Er ist mindestens 1,90 m. Ich bin restlos begeistert. Ich liebe große Männer. Dieser Mann ist ein Traum! Und er steht mir wohlgesonnen in dieser Bar genau gegenüber und lacht mich an.
Bevor mir dieses gut aussehende Kerlchen verloren geht, gebe ich ihm noch schnell meine Visitenkarte. Er verspricht mir, sich bei mir zu melden. Ja, das kenne ich schon. Mir ist alles egal. Er ist einfach toll.
Sein Freund macht noch schnell ein Bild von uns beiden und wir ziehen
um die Häuser. Meine Freundin hakt mich unter und wir fallen im nächsten Schuppen ein. Das Leben ist schön und der Mann auch. Ich bin immer noch ziemlich angeschickert. Das Wasser hat nur den Durst gelöscht, doch der Zustand ist einfach zu schön. Immer wieder versuche ich A.s Blick zu erhaschen. Diese Augen faszinieren mich komplett. Er ist sehr schüchtern und er schaut mich immer wieder fragend an.
Es ist sehr heiß hier in dem Laden.
A. steht mitten im Getümmel wie ein Baum. Er zieht mich magisch an und ich bin heiß auf diesen blonden Typen. Ich falle ihm vor lauter Promille mutig um den Hals. Will schauen was passiert. Mir ist alles egal in diesem Moment. Außerdem be nde ich mich in genau 7 Tagen auf einem anderen Kontinent und von daher setze ich alles auf eine Karte. Und wenn nur ein guter Kuss – oder vielleicht sogar sensationeller Sex – dabei rauskommt. Ist mir alles recht!
Ich spüre seine Zurückhaltung und rufe mich innerlich zur Ordnung. Typisch für mich – immer in die Vollen, anstatt mal den anderen kommen zu lassen.
Ich erzähle ihm von meinem bevorstehenden Urlaub und er klingt sehr inte- ressiert. Sein Vater ist Amerikaner und er hat somit ebenfalls die amerikani- sche Staatsbürgerschaft. Ich treffe also meinen Mr. Big nicht in Manhattan, sondern in Mainhatten! Das wird ja immer besser!
Gegen 3 Uhr verlassen wir den Laden. Ich gehe vor A. in Richtung Tür, als ein junger Mann mir seine Hand um die Schulter legt: „Du hast die schöns- ten Haare von allen hier“, schwärmt er. Und zu A. umgedreht meint er: „Du hast die schönste Frau hier im Laden!“ Na, wer sagt es denn. Endlich erkennt das mal jemand im Universum. Ich bin heute der ganz große Glückspilz. A. schiebt mich fröhlich nach draußen.
Wir gehen zur Tiefgarage und verabschieden uns von den anderen Jungs, die Kristina und mich alle sehr sympathisch nden. Ich umarme die beiden anderen kurz und behalte mir das Beste zum Schluss auf. A.!
Ich lege meine Hand auf seine Brust, die andere langsam um seinen Hals und drücke ihn ganz fest an mich. „Danke für das nette Kennenlernen!“, sage ich leise. Er riecht so unglaublich gut. Ich würde alles dafür tun, diesen Mann jetzt zu küssen, doch nicht, wenn alle zuschauen – bitte. Der Alkohol hat mich zwar noch fest im Griff, doch ich merke sehr deutlich, wie mich alle beobachten.
Er flüstert mir ins Ohr: „Ich melde mich bei dir!“ Wir winken und gehen.
Ich bin im Rausch. Im A.-Rausch. Im kompletten Glücksrausch. Die ganze Rückfahrt plappere ich ohne Unterlass! „Warum hat er mich in der Bar nicht geküsst? Der fand mich doch auch gut, oder?“, Beifallheischend schaue ich meine Freundin an, die tapfer den Weg nach Hause fährt.
„Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder er fand mich nicht gut oder er wollte mich ganz für sich allein haben“, beende ich meinen Gedankengang und damit die Schwärmerei. Oh, ich bin sehr aufgeregt.
Ich iege nächste Woche für 3 Wochen in den Urlaub und ausgerechnet jetzt muss ich diesen Adonis kennenlernen – das passt ja mal wieder gar nicht. Doch scheinbar sollten wir uns begegnen. Wir sind uns zugefallen. Warum auch immer. Das Leben meint es immer gut mit mir. Ich war scheinbar ganz lieb – mit mir.
Am nächsten Morgen wache ich auf, öffne meine Augen und er ist sofort wieder in meinem Kopf. Und er hat mir natürlich schon eine ganz lange E-Mail geschrieben, dass er mich richtig toll ndet und es kaum abwarten kann mich wiederzusehen. Aber leider eben nur in meinem Kopf. Ich habe einen richtig fetten Kater. Werde erstmal wach, Kathrin. Ich schäle mich aus meinem Bett und schaue auf mein Handy und checke meine Mails. Nichts! War ja klar!
Diese Prozedur mache ich gefühlt 5000 Mal in den nächsten 48 Stunden und bin immer mehr enttäuscht. Doch Enttäuschung bedeutet auch „das Ende der Täuschung“. Scheinbar habe ich mich in dem Traummann A. getäuscht. Ok, egal. Du fährst in den Urlaub nächste Woche und das wird toll und du nimmst alles mit, was geht. Vergiss diesen Mann.
Regel Nr. 1: Meldet sich ein Mann in den nächsten 48 Stunden nach dem Kennenlernen nicht, hat er kein Interesse. Da kannst du gleich einen Haken dranmachen. Haken.
Was für eine tolle Geschichte – sie hat so schön angefangen. Das Ende hatte ich eigentlich schon in meinem Kopf. Doch das Leben macht es nach seinen eigenen Spielregeln. Ich mag aber nicht zurück auf LOS. Wenigstens Sex hätte ich vor meinem Urlaub noch gut genießen können.
Am Montag arbeite ich ganz tapfer und räume meinen Schreibtisch auf. Ich gehe meine Reiseliste durch und bin heute Abend bei meinem Schwager Frank zum Essen eingeladen. Ich liebe mein durchstrukturiertes Leben. Es ist mein Gerüst, an dem ich mich festhalte.
Ich schwinge mich auf meine neue Vespa. Ich muss sie während meines USA- Aufenthaltes unbedingt irgendwo unterstellen.
Freudestrahlend empfängt mich mein Schwager.
„Ich freue mich so sehr auf den Urlaub! Ich werde die Seele baumeln lassen und genießen was geht! Meine beiden Mädels sind auch schon richtig aufgeregt!“, sprudelt es aus mir heraus und ich hole jedem ein Bier aus dem Kühlschrank.
„Und wir iegen morgen nach Australien zu unserer Tochter. Kannst du uns zum Flughafen fahren?“, fragt mich Frank.
Die Flaschen stoßen klirrend aneinander und wir stoßen auf unseren Urlaub an.
„Na klar, mache ich gern. Ich habe alles soweit fertig und nichts vor“, sage ich und schiebe mir eine Gabel voller Nudelsalat in den Mund. Mhm, ist das lecker! Ich habe richtig Appetit.
„Kannst du mich später mit dem Auto nach Hause bringen? Die Vespa stellen wir bei euch in die Garage, einverstanden? Da ist sie sicher.“ „Genauso machen wir es“, willigt mein Schwager ein und mit einem Stück Baguette im Mund helfe ich den Tisch abzuräumen.
Ich schaue auf mein Handy, da ich noch einen Anruf meiner Kinder erwarte, die bis zum Urlaub bei ihrem Papa sind und traue meinen Augen nicht.
Das Bild von mir und A., welches sein Freund in der Bar von uns geschossen hat, erscheint auf meinem Display. Ich bin sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eine SMS – von ihm! Ich bin total aufgeregt.
Während Frank die Spülmaschine einräumt, antworte ich A. schnell
„Was für ein schönes Bild … Danke!“
Sofort ploppt seine Antwort: „Sehr gelungen. Hat Bernd gemacht.“ auf.
Völlig begeistert schaue ich auf mein Handy und tippe wie wild in die Tasten.
„Es gefällt mir sehr gut und ich werde es mitnehmen.“
Seine Antwort kommt postwendend.
„Fliegst du am Freitag?“
Jetzt halte ich inne. Kathrin, halt dich zurück und lass ihn mal zappeln. Der Mann hat 72 Stunden gebraucht, um sich zu melden. Da musst du nicht direkt antworten.
Ich könnte die ganze Welt umarmen und nehme genau in dem Moment meinen Schwager Frank, der völlig überrumpelt ist von meinem Gefühlsausbruch, in den Arm.
Bestandsaufnahme Kathrin: Vespa gekauft, 3 Wochen Urlaub in der USA gebucht und der absolute Traummann mit mindestens 1,90 m Körpergröße meldet sich tatsächlich bei dir. Und das alles in einem Jahr. Yeah!!
Plötzlich habe ich es ganz eilig nach Hause zu kommen. „Können wir fahren, Frank?“ „Klar, ich bringe dich.“ Im Cabrio sitzend schreie ich erstmal ganz laut: „Ich bin so happy!!!“ Frank lacht sich kaputt. Wenn der wüsste! Er denkt, ich freue mich so auf den Urlaub.
Zuhause angekommen, renne ich die Haustreppe hoch zur Tür und antworte A. während des Laufens. „Ja. 2 sturmfreie Tage noch.“
Die Nachricht ist noch heiß, da kommt schon seine Antwort.
„Bist du allein zuhause?“ Während ich die Haustür aufschließe, tippe ich ein „Ja“ in mein Smartphone.
Ich stehe im Treppenhaus, halte den Schlüssel noch in der Hand, da klingelt plötzlich mein Handy. Was??? Er ruft mich an?!
„Hallo, Kathrin …!“ Seine Stimme klingt wie ein Samtkissen. Dunkel und Mann pur. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Der Austausch per Telefon dauert 4,5 Stunden!!! – Ich mag einfach nicht aufhören und er eben- falls nicht. Es ist so schön! Um 2.30 Uhr legen wir endlich auf.
Was war bei ihm passiert?
Er ist, direkt nachdem wir uns alle vor der Tiefgarage am Freitag getrennt hatten, nach Hause gelaufen und hat mich noch nachts (!) im Internet gesucht. Auf meiner Visitenkarte, die ich ihm gegeben hatte, steht der Name der Firma, in der ich arbeite und alle notwendigen Angaben. Er hat mich erstmal durchleuchtet und mich in seine Kontakte eingepflegt, damit ich nicht verloren gehe. Unfassbar!
Keine 12 Stunden später will sein „Haare-im-Rotweinglas-Freund“ erneut weggehen. Er ist auf der ständige Suche nach einer Frau. Es ist Samstag- abend. A., noch aufgefüllt vom Vorabend, lässt sich mitschleifen. Der Abend verläuft so langweilig, dass er zu seinem Freund sagt: „Ich rufe Kathrin gleich mal an, dann ist hier direkt Stimmung!“ Er hat bereits meine Nummer auf dem Display und bräuchte nur den Wahlknopf zu drücken, doch er traut sich nicht.
Währenddessen sitze ich zu Hause, allein und habe alle Zeit der Welt. Natürlich denke ich an den letzten Abend, doch meine Hoffnung auf eine Meldung schwindet mit jeder Stunde.
A. traut sich auch am Sonntag nicht sich zu melden. Gewissenskon ikt. Trotzdem ruft er seinen besten Freund Bernd an, der am Montag mit seiner Familie in den Urlaub fahren möchte.
„Freitagabend war so klasse! Wenn du im Urlaub bist, rufe ich die Blonde an.“ „Nein, das tust du nicht. Denke daran, A., du hast eine Familie und Verant- wortung!“
„Morgen rufe ich sie an und frage sie, was sie will!“ „Nein!“
„Doch, du wirst ja sehen! Wir telefonieren wieder, wenn du zurück bist.“
Da sieht man mal wieder – es spielt sich alles in den Köpfen der Menschen ab. Ich spinne mir meine eigene Wahrheit in meinem Kopf zurecht, wie eine Spinne ihr Netz. Verrückt!
Das Leben spielt sich immer in der Gegenwart ab – und nur da! Nicht in
der Vergangenheit oder gar in der Zukunft. Es ist immer jetzt – es ist immer Gegenwart. Doch viele Menschen hängen in der Vergangenheit fest oder machen sich Sorgen um die Zukunft und verpassen die Gegenwart und das was genau da geschieht, denn die Zukunft entsteht im Hier und Jetzt, in dem was wir jetzt denken.
Sich Dingen bewusst zu sein macht glücklich. Nur mit unseren eigenen Gedanken, die wir uns selbst machen, indem wir sie in unseren Köpfen erschaffen, können wir uns unglücklich, aber auch glücklich machen.
Ich sitze da, an jenem Samstagabend und kann mir in meinem Kopf die Hölle kreieren. Wieso ruft er nicht an – dieser wunderbare Mann? Vielleicht mochte er mich nicht. Bin ich nicht attraktiv genug? Ich bin schlecht. Ich habe mich falsch verhalten.
Alles Gedanken, die ich mir selbst über mich mache und mich damit runter- ziehe. Innerliche Selbstkritik. Ich fühle mich dadurch immer schlechter und kleiner und mache mich zu etwas, was ich in Wahrheit gar nicht bin.
Ich bin, so wie jeder andere Mensch auf dieser Erde, einfach großartig. Eine einzigartige Persönlichkeit. Eine tolle Frau mit viel Potenzial und außeror- dentlichen Eigenschaften. Ich bin wichtig und wertvoll und habe nur das Beste verdient!
Das hört sich doch toll an! Ich bin ganz begeistert von mir selbst und fühle mich augenblicklich gut damit.
Heute Abend telefoniere ich das letzte Mal mit A., bevor der Flieger morgen Mittag landet und seine Familie in großer Erwartung fröhlich aus dem Flieger hüpft.
Um 21.30 Uhr klingelt mein Handy. Ich stehe noch tropfend unter der Dusche, als Neele an mein Telefon geht und sich fröhlich mit A. unterhält.
Sie plappert ohne Unterlass und es fühlt sich alles so vertraut und normal an, obwohl die Welt morgen völlig anders ist. Doch ist sie das?
Nur in deinem Kopf, Kathrin!, ermahne ich mich.
Ich hopse frisch eingecremt aus dem Bad und mache es mir auf meinem Hotelbett, das wie eine Hängematte aussieht, da die Matratze total durch- hängt, gemütlich. Eine Nacht noch, dann bin ich wieder zuhause und schlafe in meinem eigenen Reich. Welch‘ schöne Vorstellung!
„So, Neele gib mal her … jetzt bin ich dran“, schneide ich meiner kleinen Quasselstrippe das Wort ab und lange nach meinem Handy. Bloß keine Zeit verstreichen lassen. Die ist kostbar.
„Hallo, meine Süße, wie geht es dir? Wie war dein Tag?“, säuselt mir seine warme Stimme ins Ohr, sie macht mich immer wieder aufs Neue weich.
Ich möchte sie jeden Tag hören – ohne Unterlass – und bitte, keine 2 Wochen Funkstille, nur weil die Familie, die eigentlich keine mehr ist, anrückt.
Allein dieser Gedanke lässt mich schon wieder Trübsal blasen. Traurig antworte ich: „Naja, den Umständen entsprechend.“
„Och, mach kein Drama daraus. Wir schaffen das schon! Du bist ja raus
und ich bin sowas von drin! Ich muss das alles jetzt ertragen. Die schlechte Stimmung und die Streitereien …“
„Was soll ich dazu sagen, A.? … mich belastet das eben“, antworte ich ehrlich.
Männer sehen das immer etwas rationaler, habe ich den Eindruck …
Während ich meine Füße in dicke Socken stecke, weil sie schon wieder eiskalt sind, schiebe ich mir ein Stück Schokolade in den Mund.
„Du bist schon so tief in meinem Herzen, A.“
„Du doch auch bei mir. Mach dir bitte keine Gedanken. Die Zeit geht vorbei. Wir haben bisher eine so tolle Zeit gehabt, obwohl wir gar nicht viel weg waren.“
„Darauf kommt es nicht an. Wir sind zusammen und das ist wichtig. Und jeder lässt dem anderen seinen Raum und ihn so, wie er ist. Ich schaffe das schon. Bestimmt.“
Ich zähle ihm auf, was ich alles in der Zeit machen werde.
„Wenn du morgen nach Hause kommst, schaust du bitte auf dem Holzstoß unter deiner Eingangstreppe nach. Ich habe da etwas für dich hinterlegt.“
Wie süß ist das denn? Ein Hoffnungsschimmer am Himmel, doch es ist
der letzte Tag bevor die „Stille“ einkehrt, und seine Familie ist noch nicht einmal hier. Wünscht man sich als Frau oder „Geliebte“, dass sie sich ganz viel streiten und sie wutentbrannt nach 3 Tagen wieder abreist? Nein, das ist gemein. Das schafft auch schlechte Gefühle in einem selbst.
Ich verstehe mich sehr gut mit meinem ehemaligen Mann. Das war nicht immer so. Es war sehr viel Arbeit und bedurfte ein eigenes, inneres Wachsen und ein Über-den-Schatten-springen. Ich habe es geschafft und es geht mir heute gut damit. Ich habe es gut gemacht. Ich habe es so gut gemacht, wie ich es nur konnte. Stolz bin ich darauf. Aus dieser Erfahrung kann ich nun schöpfen und diese weitergeben.
Es hilft keinem etwas und bringt niemanden weiter, sich bis aufs Blut zu streiten. Den eigenen inneren Frieden zu schaffen sollte das Ziel sein. Vergeben – erst sich selbst, und dann den anderen. Das ist wichtig.
Ein Mensch der schreit, schreit nur nach Liebe! Eigener Liebe. Unzufriedenheit schaffe ich stets in mir selbst. Neue und gute Gedanken, die ich mir immer wiederhole, bringen neue Gefühle mit sich.
Das ist ein guter Gedanke, denke ich noch und A. holt mich mit seinen nächsten Worten aus meinem Gedankenpuzzle heraus: „Klaus hat sich heute gemeldet.“ Der Geschäftsführer seines Unternehmens.
„Was sagt er denn dazu, dass deine Frau kommt?“
„Er war total geschockt und die erste Frage, die er mir gestellt hat war: ‚Und? Was sagt Kathrin dazu?‘“
Ja, was sagt Kathrin eigentlich dazu, sinniere ich.
„‚Kathrin ist eine intelligente Frau. Und du weißt, wie sehr ich intelligente Frauen mag.‘, habe ich ihm gesagt.“
Das ist ein sehr nettes Kompliment und eigentlich hat er Recht. Ich bin intel- ligent und ich weiß das einzuordnen. Manchmal klappt es besser, manchmal nicht so gut. Doch ich bleibe dran.
Das Leben ist ein einziges Lernen und irgendwie bin ich auch dankbar, dass das Leben mir dieses Geschenk macht, indem seine Frau entschieden hat, diese Tickets zu buchen. Alles hat seinen Sinn.
Kathrin, du schaffst das!
Neele schaltet den Fernseher ein und während irgendeine trashige TV-Serie über den Bildschirm immert, merke ich, wie die Zeit zum Telefonieren zwischen A. und mir abläuft. Ich spüre unendliche Müdigkeit in mir.
Ich hatte vorher noch eine Meditation gemacht, aber auch durch das Tages- geschehen im Allgemeinen, bin ich sehr erschöpft.
„A., ich wünsche dir eine tolle Zeit mit deinen Kindern. Und wenn wir beiden Abends den Mond sehen, dann denken wir an den anderen, ok?“, mir kommen die Tränen. Ich kann nichts dagegen machen. A. reagiert sehr betroffen.
„Bitte versprich mir, dass du dir nicht allzu viele Gedanken machst, hörst du? Versprich es mir, bitte!“
„Ich verspreche es“, sage ich mit erstickter Stimme.
„Gut, dann schlaf schön, meine Süße.“
„Du auch!“
„Tschüss.“
Ich lege auf. Das war es. Aus die Maus. Die „Süße“ weint. Ich lege meinen Arm über mein Gesicht, damit Neele nicht merkt, dass mir die Tränen die Wange runterlaufen. Will es nicht.
Ich versuche, mich mit dem Fernseher abzulenken. Es klappt halbwegs.
Als ich das Licht ausmache, falle ich sofort in einen tiefen und festen Schlaf in meiner Hängematte.
Ich träume von einem Schwimmbad, in dem ich viel Spaß habe. Das Schwimmbad deute ich so: Im Becken ist das Wasser der Gefühle. Es ist gefangen in einem menschlichen Konstrukt. Ich frage mich: „Welche Gefühle möchte ich hinter sicheren Mauern wissen?“
Diese Deutung passt ja mal wieder, wie die Faust aufs Auge ….
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Und hier noch der Spruch des Tages „Alles macht Sinn in unserem Leben und führt uns auf unseren eigenen Herzensweg.“
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